Sonntag, 27. Januar 2008

Umgekehrt

San Francisco Museum of Modern Art
Die meisten bekommen einen verklärten Blick, wenn man ankündigt, nach San Francisco zu fliegen. San Francisco, das steht für Cable Cars, Golden Gate Bridge, Flower Power, Scott McKenzie, Greatful Dead, Bay Area, für ein Lebensgefühl, für eine Stadt, die vibriert, eine Stadt, die jeder mag. Ich nicht. Oder wenigstens nicht so besonders. Für mich ist San Francisco eine Stadt, die mich mit ihren Gegensätzen überfordert. Die Stadt, in der mir der amerikanische Traum begegnet, mit seinen harten Konsequenzen. Ich schaue mir all die schönen Dinge an, die man als Tourist eben ansieht, wenn man zum ersten Mal dort ist: Die Werft, den Golden Gate Park, Chinatown, das Asian Art Museum, the Mission, das San Francisco Moma mit seiner kleinen, feinen Kollektion. Ich laufe durch die Straßen, sauge die Atmosphäre ein. Ich schließe mich einem geführten Spaziergang an und lerne etwas über die Anfänge der Stadt und über wichtige Persönlichkeiten. Auch über das, was Amerikaner als mitteilenswert erachten. Aber etwas stimmt nicht. Ich kann es fühlen. Es sind die Gegensätze, auf die ich überall stoße, auf engstem Raum. Nur fünf Minuten vom Visitor Centre am Union Square entfernt sehe ich Obdachlose, die in Müllcontainern nach Essen suchen. Mitten im Zentrum gibt es Straßen, um die man im Dunkeln besser einen Bogen macht, No go Areas. Ich sehe grell geschminkte Greisinnen ohne Zähne, spindeldürr und mit erloschenem Blick. Auch Amüsantes zwischendurch: Zwei mollige schwarze Mädchen mit Ghettoblaster und ein junger Mann tänzeln grinsend den Gehsteig entlang. Der Junge sagt: ‘Excuse us, we are black‘. Etwas stimmt nicht. Ich gehe in die Yerba Buena Gardens. Es ist Sonntag, es gibt ein Konzert. Ich sehe einen jungen Mann im Rollstuhl, geschoben von zwei Kumpels. Der Junge im Rollstuhl hat einen schönen, athletischen Rücken. Er sitzt gerade und benutzt dann seinen rechten Arm, um die Haltung noch weiter zu korrigieren. Ich schaue genauer hin und merke plötzlich, dass er nur diesen einen Arm hat. Beide Beine fehlen, sie sind unterhalb der Leisten amputiert. Es gibt keinen linken Arm. Vielleicht spürt der Junge meinen Blick. Er zieht sich die Kapuze über die Haare und sagt etwas zu seinen Freunden. Sie schieben ihn wieder Richtung Ausgang. Vielleicht einer, der auszog, um die Probleme im Irak zu lösen und als Krüppel zurückkam.

Chetumal, Mexiko. Eine Grenzstadt. Am nächsten Tag werde ich mit dem Bus nach Belize fahren. Ich bleibe hier hängen, weil es schon Nachmittag ist und ich heute nicht mehr über die Grenze will. Der Ort wird mich überraschen.
Mein Taxifahrer ist stolz auf seine Stadt. Er fährt mich durch aufgeräumte, breite Straßen mit guten Geschäften, zeigt mir das Kulturinstitut, dem man einen großzügigen, modernen Neubau spendiert hat, sagt, dass das Mayamuseum unbedingt einen Besuch wert sei. Er bringt mich zum Maria Dolores, dem Hotel meiner Wahl. Es erwartet mich ein sauberes, freundliches, professionell geführtes und obendrein billiges Hotel. Ich folge der Empfehlung meines Taxifahrers und besuche das Mayamuseum. Ich erfahre über die Mayas, was ich noch nicht wusste, lasse mich auf ihre Lebenswelt ein. Architektur, Ökonomie, Kunst, Mathematik, Astronomie, Vorstellung von der Weltordnung. Nach dem Museum eine Gemüse- und Salatplatte in einem einfachen Restaurant. Nach Tagen wieder etwas Vernünftiges zu essen. Da sage einer, alle Grenzorte sind öde.

Keine Kommentare: