Montag, 24. März 2008

Gute Männer

Hamadi in der Weißen Wüste
Manche Männer sind speziell. Man erinnert sich gern an sie. Es sind Männer, die das, was sie tun, besonders gut tun. Vielleicht weil sie es aus Überzeugung tun, ganz selbstverständlich und ohne große Worte.

Zum Beispiel Hamadi. Hamadi ist 23 und kutschiert für seinen Tourveranstalter Touristen aus allen möglichen Ländern in die Weiße Wüste Ägyptens. Vermutlich ist er nie groß herum gekommen, höchstens einmal nach Kairo oder in andere Wüstengebiete, abseits der Oase, in der er lebt. Hamadi ist absoluter Profi. Das fängt schon beim Auto an. Er fährt einen Toyota mit 4-Rad-Antrieb. Die Lackierung hat der Wagen fast verloren, wegen der vielen Schrammen und Beulen. Die Sitze sind durchgesessen und selbstverständlich wird das Auto nie geputzt. Das würde sich auch gar nicht lohnen, da der allgegenwärtige Sand sowieso nicht aufzuhalten ist. Wie das Innenleben des Toyotas aussieht, möchte ich lieber nicht wissen. Aber Hamadi fährt sein Auto auf allen möglichen Straßen und anderen gerade noch befahrbaren Oberflächen derart souverän, dass ich gar nicht auf die Idee komme, mich zu wundern. Auch Chris und Danielle, Vater und Tochter aus Südafrika, und Ed, Australier chinesischer Abstammung, wirken entspannt. Hamadi fährt, gibt kurze, hilfreiche Erklärungen, kocht und baut das Nachtlager irgendwo zwischen den weißen Felsen auf. Jeder Handgriff sitzt. Das Timing stimmt exakt und irgendwie schafft er es, dass jeder sich wohl fühlt. Alle bekommen wir, was wir brauchen: Information, Essen, Trinken, Zuwendung, ein Lager. Zwischendurch ein paar kleine, unaufdringliche Anekdoten. Hamadi ist 22 Stunden im Einsatz. Nachts kümmert er sich darum, dass der Wüstenfuchs, der uns aufgespürt hat, nicht an unsere Essensvorräte geht. Morgens ist er als Erster auf, bereitet das Frühstück, baut das Lager ab. Alles wie selbstverständlich, ruhig und fast ohne Worte. Irgendwie schafft er es, dass wir alle pünktlich aufbrechen. Er muss nichts sagen. Durch das, was er tut und wie er es tut, führt er die Gruppe. Alle akzeptieren ihn, alle mögen ihn, für alle war es eine gute Tour. Und ich glaube, alle haben ihn und seine Art ein bisschen bewundert.

In Dahab am Roten Meer treffe ich in einem der Restaurants Abdu, der jeden einzelnen Gast mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Er hat Freude daran, seine Gäste gut zu bedienen. Irgendwie scheint er immer zu wissen, was gerade gut für einen ist: Ein Glas echter Orangensaft, eine bestimmte Musik oder auch nur das spezielle Mehr an Aufmerksamkeit, das einen guten Kellner ausmacht. Morgens, als er etwas Zeit hat, erzählt er, dass er seine Arbeit liebt. Beruflich tut er das, was ihm auch privat Freude macht. Und das tut er während der Saison 12 Stunden am Tag. Nur manchmal hat er einen Tag frei. Abdu hat für sich das optimale Maß an Zufriedenheit gefunden. Und seine Gäste wissen seine Liebenswürdigkeit zu schätzen.

Der Ranger, der mir das Permit zum Abstieg in den Grand Canyon erteilt, ist auch so einer. Wie viele Touristen stellen ihm genau die Fragen, die ich ihm gestellt habe? Es müssen hunderte pro Jahr sein. Und mit mir spricht er, als wäre ich die erste, die seinen Service in Anspruch nimmt. Keine Spur von Langeweile, Überdruss, Arroganz. Ein echter Profi, auch er.

Neil arbeitet für die Royal Mail. Er ist Postbote. Zu Hause, in einer Kleinstadt in der Nähe von Manchester kennt er alle in seinem Bezirk. Seit zehn Jahren arbeitet er dort. Er sieht die Kinder heranwachsen und vermutlich weiß er mehr über seine Kunden als manchem lieb ist. Aber er ist diskret. Die Bewegung an der frischen Luft braucht er. Auch im Urlaub muss er gehen, täglich mehrere Stunden, sonst fühlt er sich nicht wohl. Wir tun uns in den Usambarabergen in Tansania zusammen, wandern, sind Reisegefährten, auch noch in Sansibar.
Neil
Neil ist durch und durch Gentleman. Er gibt mir trotz meiner ramponierten, mit Schlamm bespritzten Klamotten das Gefühl, eine Lady zu sein. Er zeigt Respekt. Und ist doch ein echter Kumpel, der auf unruhiger See eine unbequeme, zehnstündige Fahrt auf einer Dhow mitmacht, ohne zu klagen. Schön, ihm begegnet zu sein.

Freitag, 14. März 2008

Afrika ist anders

Tansania. Auf der Fahrt nach Loliondo
Pole pole
Langsam, langsam. Nichts geht schnell hier, alles braucht seine Zeit. Vereinbart man mit jemandem einen Zeitpunkt, tut man gut daran, sich zu erkundigen, ob westliche oder afrikanische Zeit gemeint ist. Afrikanische Zeit ist dehnbar. Ein paar Stunden hin oder her spielen keine Rolle. Das muss man wissen, das muss man akzeptieren, sonst hält man es hier nicht aus. Akzeptiert man aber diesen ganz anderen Rhythmus, merkt man irgendwann: So geht es auch, und gar nicht mal schlecht. Man braucht die Dinge nicht erzwingen. Man muss sie nur kommen lassen.

Karibu
Willkommen. Jambo, Mambo, Habari. Das Kisuaheli hat viele Begrüßungsformeln, um Fremde willkommen zu heißen. Höfliche Worte stehen immer am Anfang einer Konversation. Man nimmt sich Zeit für den Fremden. Und auch der Fremde tut gut daran, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Selbst eine Frage nach dem Weg setzt ein Begrüßungsritual voraus, möchte man sein Gegenüber nicht brüskieren. Soviel Zeit muss sein. Wer Aufmerksamkeit fordert, kann wenigstens Respekt geben. Man wird mit Freundlichkeit belohnt.

Afrikanische Sonne
Nirgendwo ist die Sonne so aggressiv wie hier. Nirgendwo habe ich Sonnenstrahlen erlebt, die wie Brenngläser die Haut entzünden, die imstande sind, einen wie Säure zu verletzen. Wer sich nicht schützt ist verloren.

Afrikaner sind anders
Zehn Stunden auf einer Dhow, von Bagamoyo am Festland von Tansania nach Sansibar. Die Dhow in einem erbärmlichen Zustand; rauher Seegang. Sengende Sonne. Der Magen rebelliert. Nur flach liegen hilft. Meinem englischen Reisegefährten geht es nicht viel besser. Den elf Einheimischen scheint dies jedoch nichts auszumachen. Sie sitzen, schlafen, warten geduldig auf das Ende der Überfahrt. Zehn Stunden ohne Wasser, ohne Essen, ohne WC. Das kommt vor, das ist nichts besonderes für sie.

Ende der Welt
Massai
Wo ist das Ende der Welt? Ich bin sicher: Es liegt im afrikanischen Busch. Dort, wo es keine Straßen gibt, keinen Strom, keine Krankenhäuser. Dort, wo die Menschen von dem leben, was sie anbauen, von ihrem Vieh, von der Jagd. Dort sind die Menschen nur zögerlich bereit, Kompromisse mit dem modernen Leben einzugehen. Sie kleiden sich wie vor hunderten von Jahren, schmücken sich, wie sie es immer getan haben. Dort erlangt ein Krieger dadurch Ansehen, dass er Löwen tötet. Keine Nationalparkverwaltung wird ihn daran hindern können.

Sicherheit
ist ein Thema. Nirgendwo sieht man es einem so deutlich an, dass etwas zu holen ist. Die Hautfarbe verrät einen. Nirgendwo bin ich so oft von Einheimischen begleitet worden wie hier. Aus Sicherheitsgründen. Nie war mir das so willkommen. ‘Pocket men’, ‘mugging’ und ‘to escort’ sind Worte, die meinen aktiven englischen Wortschatz nun ergänzen.

Afrika macht süchtig
Schnell und gnadenlos. Mich hat es erwischt. Ich bin nun Junky.

Sonntag, 9. März 2008

Dotcom


Bei LoliondoDotcom, das ist sein Spitzname. Das Resultat einer Neckerei am Lagerfeuer auf einer der Safaris, die er als Koch und Mädchen für alles begleitete. Er hat auch einen Massai-Namen und einen, den sich Touristen leichter merken können: Steven. Für Judith, die mich auf diese Safari mitgenommen hat, Edward, den Journalisten der Arusha Times und Mr. John, unseren Fahrer, ist er aber nur Dotcom.
Dotcom mit WindhoseDotcom, das ist die zweite Hälfte von sexymassai.com. Es könnte seine Website sein - der Name ist Programm. Aber eigentlich braucht Dotcom keine Website, wenn er weibliche Gesellschaft sucht. Er weiß, wie es geht. Und er macht kein Geheimnis daraus. Er ist Massai und Massai sind gerade heraus, sagt er, nicht hinten herum. Er beherrscht die Kunst der kleinen Aufmerksamkeiten, der dezenten Berührungen zur rechten Zeit, wie zufällig.
Camp neben Massai-Boma, bei LoliondoEr hat Charme, und er ist jung. Er will leben, Spaß haben. Auf einer Safari alle mit Essen zu versorgen, Zelte aufbauen, Esel beladen - das macht er gern und auch gut. Aber seine Energie braucht ein Ventil. Wenn wir unsere Zelte nicht gerade mitten in der Wildnis aufgebaut haben sondern in einem festen Camp schlafen, sucht Dotcom die Nähe von Kollegen und anderen Fahrern. Sie trinken Bier, führen Männergespräche. Und wo Fahrer sind, da sind auch Dikidiks, ‘Weiber’, Frauen, die mit Männern mitgehen. Es geht diskret zu. Da ist nichts hell, grell, schillernd. Nur wenn man weiß, wo und wie sich Angebot und Nachfrage treffen, kann man erkennen, wie es funktioniert. Ein paar Mal auf unserer 9-tägigen Safari reimen wir beiden Frauen uns am nächsten Tag zusammen, was ohnehin nicht zu übersehen ist. Dass für Dotcom der Abend noch lange nicht zu Ende war, als wir ihm eine gute Nacht wünschten. Dann kommt er am Morgen schwer in die Gänge, ist schweigsam und schläft auf der Fahrt dauernd ein, trotz der rumpeligen Sandpisten, hier im Norden Tansanias. Aber er erholt sich schnell und bald ist er wieder der Alte, er ist flink und aufmerksam und es fallen ihm Sprüche ein, die alle zum Lachen bringen. Er kümmert sich um das Gepäck auf dem Dach des Landrovers, weiß, wo man mitten im Nirgendwo Kerosin und Holzkohle kaufen kann. Und nebenbei seine ganz persönlichen Erledigungen: Er verkauft seine guten Schuhe, verteilt unsere Essensreste. Hier lässt man nichts verkommen.
Das Land ist dünn besiedelt. Kleine Dörfer, weit auseinander liegend, ab und zu sieht man Bomas, die traditionellen Wohnformen der Massai, bestehend aus einigen Lehmhütten und Viehkoppeln, umgeben von natürlichen Zäunen aus Dornengestrüpp. Dies ist sein Land, dies sind seine Leute. In den Tagen, die wir mit ‘unserer’ Massai-Familie verbringen, ist Dotcom neben Mr. John Übersetzer, Vermittler, Erlediger, Erklärer. Dotcom ist da, wenn wir ihn brauchen; er sorgt gut für alle, besonders für seine beiden weißen ‘Mamas’.

Am Lake NatronWieder zurück in Arusha ist Dotcom einen Tag lang mein persönlicher Begleiter. Und in dieser Welt der Autos, Banken, Airline-Büros, Cafés und Reiseagenturen ist er nicht weniger geschickt als in der Savanne, im afrikanischen Busch. Er geht mit mir einkaufen, zeigt mir das Internetcafé mit den modernsten PCs und der schnellsten Verbindung. Damit mir beim Überqueren der Straße auch ja nichts passiert, nimmt er mich bei der Hand. Und auch hier werden nebenbei persönliche Angelegenheiten erledigt. An jeder Ecke begrüßt er Bekannte, auf dem Markt stellt er mir den Mann vor, der ihm das Kochen beigebracht hat, er lässt sich die Haare schneiden. Er kauft sich neue Schuhe und ein Handy. Ich ihm eine Bratpfanne und einen Schneebesen. Obwohl ich fest glaube, dass er diese Utensilien wieder verkaufen wird, sobald die Geschäfte schlechter laufen und er Geld braucht - für Bier und Frauen. Dotcom, ein Schlawiner, ein Halodri, ein Charmeur. Lebenslust pur.

Donnerstag, 6. März 2008

Umwege

Leon Vieja, Nicaragua

Das Wetter ist gut genug für einen Ausflug. Ich nehme ein Taxi und fahre zum Busbahnhof. Der Taxifahrer weiß, wohin ich will, und steuert direkt auf die Minibusse nach Managua zu. Ich steige in einen fast vollen Minibus, Augenblicke später geht es los. Keine Ahnung, wo Leon Vieja liegt und wie weit es ist. Meine spärlichen Infos kommen aus dem Internet und beschränken sich auf den Ausgrabungort selbst. Einen Reiseführer habe ich nicht, auch keine eine belastbare Landkarte. Wir fahren in irgendeine Richtung, welche, kann ich wegen der vielen Wolken nicht erkennen. Es ist Regenzeit. Grüne, tropische Landschaft, dazwischen Malinches, der üppig rotblühende Nationalbaum der Nicos, der Nicaraguaner. Vulkankegel. Irgendwann geht von der schnurgeraden Asphaltstraße im 90°-Winkel eine Nebenstraße ab. Dort werde ich abgesetzt. An der Ecke gibt es einen Imbiss, jemand verkauft Getränke, Nüsse, Krimskrams. Sonst nichts. Ich laufe los, durch die grüne Wildnis. Ich weiß nicht, ob Leon Vieja fünf Minuten entfernt liegt oder mehrere Kilometer. Ein Arbeiter, der einen Zaun repariert, weiß auch nicht, wie weit es ist. Vielleicht versteht er auch mein merkwürdiges Spanisch nicht. Ganz selten fährt mal ein Auto vorbei. Kein Bus. Dann hält ein Lastwagen neben mir. Die Schiebetüre zum Laderaum ist geöffnet. Ich sehe ein paar junge, freundliche Gesichter, werde zum Mitfahren eingeladen. Im Laderaum sitzen noch mehr freundliche Menschen auf weißen Plastikstühlen. Ich bekomme einen angeboten. Offenbar ist dies eine Art Sonntagsausflug. An meinem Ziel steige ich aus. Geld nehmen sie nicht von mir. Sie weisen mir die Richtung, lächeln und fahren weiter. Ich laufe durch das Dorf, folge den Schildern. Kaum Autos. Bescheidene, bunte Häuschen, Bananenpflanzen, Blühendes, das wachsen darf, wie es will. Kinder, ein paar Fahrräder, Frauen in ihren Gärten, ein paar Jugendliche, die einen Ball hin und her kicken. Am Eingang der Ausgrabungsstätte laufe ich erst Mal vorbei. Das Tor ist zu und erst nach genauem Lesen des unauffälligen Schildes weiß ich, dass ich richtig bin. Ein Wachmann schließt für mich auf und hinter mir wieder zu. Dies ist Mittelamerika, hier ist Sicherheit ein Thema. Ich nehme mir Zeit für den schönen, weitläufigen, abgelegenen Ort. Es sind nur noch die Grundfeste der ursprünglichen spanischen Ansiedlung zu erkennen. Die Schilder sagen mir, dass hier Wohnhäuser standen, auch Kirchen. Es gibt einen Platz, an dem Indigene als Sklaven gehalten wurden. Ich gehe langsam durch diesen Ort, bleibe stehen, höre die Geräusche des Dschungels, betrachte die gepflegte Wildnis, Bäume, Sträucher, Blumen, Blüten, Früchte, Schlingpflanzen. Irgendwann ist es genug und ich will zurück. Ich laufe zur Bushaltestelle und warte. Der Bus kommt. An der Einmündung zur Hauptstraße fährt er in die für mich falsche Richtung. Ich steige aus. Zu spät merke ich, dass dies ein Fehler war, dass Busse andere Routen fahren als Minibusse. Nach eineinhalb Stunden kommt mein Bus zurück und sammelt mich wieder auf. Nun frage ich endlich und begreife. Ich fahre dorthin zurück, wo ich gerade hergekommen bin, nach Leon Vieja, dann zum Nachbarort. Irgendwann komme ich schließlich an, viel später als gedacht. Aber was macht das schon. Irgendwie geht es immer weiter.

Samstag, 1. März 2008

Internetcafés

Internetcafé | Foto: aboutpixel.de

Fünfzehn Minuten vom Nationalmuseum in Kairo entfernt sehe ich an einer Hausecke zwei Schilder: Internet. Ich habe gerade nichts Besseres zu tun. Der Magen ist mit Kushari* gefüllt und der Abend noch lang. Eine steile Treppe führt nach oben. Auf dem ersten Treppenabsatz lächelt mich rechts ein junger Mann freundlich an, links ein weiterer. Beide werben um mich, sie wollen mich als Kundin gewinnen, für das rechte oder das linke Etablissement. Einer ist so reizend wie der andere. Heute entscheide ich mich mal für rechts. Zwei verschachtelte Räume, enge Tische, viel genutzte Stühle und Tastaturen, die man nicht so furchtbar gerne berührt. Aber die Technik ist OK, die Geschwindigkeit auch. Im hellsten Neonlicht gucke ich nach Flügen, lese Zeitung und schreibe ein paar Mails. Die anderen könnten ohne die Hälse zu verdrehen mitlesen, so eng ist es hier. Aber die sind mit sich selbst beschäftigt. Die meisten sind Touristen wie ich, ein paar junge Ägypter sind auch hier. Ich finde es gemütlich.

Ein paar hundert Kilometer weiter südlich, in einem Internetcafé in Luxor haben sie wegen der Hitze je eine Wand von den Gehäusen der PCs entfernt. Während ich schreibe schaue ich auf die Innereien meines Computers. Kabel, Schalter und Platten sind mit einer feinen Schicht Staub bedeckt. Na ja, die werden hoffentlich wissen, was sie tun.

Auf Ometepe, Nicaragua, ist mein Lieblingsinternetcafé. Eigentlich ist es gar kein richtiges Café. Es ist ein kleiner Raum mit einem großen, hohen Tisch in der Mitte, vier Laptops, einem Kabel- und Kopfhörerwirrwarr drum herum und Schränken an den Wänden, in denen man seine Wertsachen einschließen kann. Bücher gibt es auch. Ich bin auf einer ehemaligen Hacienda von General Somoza, dem früheren Diktator dieses Landes. Heute ist die Hacienda ein Hostel, eines der am schönsten gelegenen meiner Reise. Ich packe ein paar dicke Schmöker auf den Stuhl, damit ich höher sitze und nehme Kontakt mit der Außenwelt auf. Später werde ich vor Vulkankulisse und Dschungelpflanzen ein Bad im größten und vielleicht auch schönsten See Mittelamerikas nehmen.

In wie vielen Internetcafés war ich in den letzten zwölf Monaten? Es müssen Dutzende gewesen sein. Keines ist wie das andere. Es gibt gute und schlechte, schöne und hässliche, teure und billige. Ein Café der De-Luxe-Klasse finde ich in einem nagelneuen, besseren Hotel auf Koh Kong, einer der 4000 Inseln im Mekong, kurz bevor der Fluss von Laos kommend Kambodscha erreicht. Drei todschicke Monitore auf drei todschicken, kleinen, schwarzen Tischen, Tastaturen und Mäuse ebenfalls elegant, Mini-PCs. Windows Vista und eine superschnelle Leitung. Man traut sich kaum, etwas anzufassen, man könnte ja Fingerabdrücke auf dem kostbaren Equipment hinterlassen. Der Preis nach knapp 15 Minuten ist entsprechend. Dafür bekommt man nebenan schon ein Mittagessen. Als ich gehe, komme ich mir vor wie ein armer Schlucker, der im falschen Stadtviertel herumläuft.

In Rach Gia im Mekongdelta muss ich lange suchen, bis ich ein Cybercafé finde, in dem man tatsächlich auch ins Internet kommt. Ich frage in drei Läden nach, bevor mich endlich jemand an einen Rechner lässt. Alle diese Cafés sind groß. Sie haben mindestens zwanzig Computer, und auf jedem Platz sitzt ein Jugendlicher. Aber diese Jungs (Mädels sehe ich keine) surfen nicht im Internet. Sie spielen Computerspiele. Laut und rüpelig gehen sie mit den Maschinen um. Eine andere Cyberwelt, nicht meine. Schließlich finde ich ein Café, das auch tatsächlich Zugang zum Internet ermöglicht. Ich setze mich ganz vorne hin, an den Rand. Die Jugend guckt kurz auf, dann gleich wieder weg. Vor einer Ohren betäubenden Geräuschkulisse erledige ich, was zu erledigen ist und fliehe - nicht ohne Minuten vorher mitgekriegt zu haben, dass ein paar Jungs in der anderen Ecke haarscharf an einer Schlägerei entlang geschrammt sind. Wie aufregend.

* Kushari: Gericht aus verschiedenen Nudelsorten, Linsen, Reis und Röstzwiebeln

Donnerstag, 28. Februar 2008

Flüchtige Begegnungen

Vansee | Foto: www.bergdias.de
Die Türkei betrete ich durch die Hintertür. Ich komme vom syrischen Grenzort Qamishle, ein von jeder Verkehrsplanung und Müllabfuhr übersehener Ort. Nur Fußgänger dürfen hier über die Grenze, in dieser abgelegenen Ecke, im äußersten Osten zwischen Syrien und der Türkei. Der Irak ist nur einen Steinwurf entfernt, der Iran kaum weiter. Mit mir laufen fünf Einheimische mit Handgepäck zu den Abfertigungsbaracken. Ich treffe auf den ersten Grenzbeamten. Er lächelt überrascht. Eine Touristin? Hier? Er lässt mich pro forma ein paar Reißverschlüsse meines Reisegepäcks öffnen. Die Passkontrolleure gucken, wie Staatsautoritäten in Syrien gucken müssen. Der Vorgesetzte wird geholt, man kann ja nie wissen. Ein Stuhl wird mir angeboten – hinter dem Abfertigungstresen, auf der Seite der Abfertiger. Irgend etwas wird in einen Computer eingetippt. Sie fragen Fragen auf Arabisch, die ich nicht verstehe, und sie verstehen meine Antworten nicht. Nachdem für einen Fall wie diesen die angemessene Abfertigungszeit verstrichen ist, bekomme ich einen Stempel in den Pass und kann gehen. Zur nächsten Baracke. Wieder wird der Pass gründlich gesichtet. Weiter, zu den türkischen Beamten. Die tun sich leichter mit mir. Blick aufs Gepäck, Stempel in den Pass. Die Handbewegung sagt: OK, weitergehen. Ich atme auf. Im nächsten Lebensmittelladen wechsle ich etwas Geld. Eine Bank gibt es nicht. Natürlich werde ich beschissen. Einer fährt mich zweimal um den Block und hält schließlich am Busbahnhof. Dafür will er ein paar tausend Lira. Was soll's. Ich will weiter. Ich will an den Vansee, dort soll es schön sein. Die Busfahrer machen gerade eine Pause und trinken Tee. Einer von ihnen war mal ein paar Jahre in Deutschland und kramt ein paar deutsche Halbsätze hervor. Ein anderer überlässt mir seinen Hocker und ich bekomme auch ein Glas Tee. Irgendwann geht es weiter. Man setzt mich in den richtigen Bus. Offenbar muss ich erst nach Diyarbakir. Dort bleibe ich hängen. Ich esse türkisches Brot mit Salat, nein danke, Fleisch möchte ich keins. Der Mann am Fleischspieß sieht mich verständnislos an und schüttelt den Kopf. Mit Minibussen geht es weiter, Richtung Tatvan. Ich werde von einem Fahrer zum nächsten weiter gereicht. Irgendwie regeln die das mit dem Fahrgeld unter sich. Na, Hauptsache, die Richtung stimmt. Die Landschaft ist braun, karg, bergig, zwischendurch sehr grün, dort, wo es Wasser gibt. Kurdengebiet, kaum Dörfer. Ich bin schläfrig und träge. Es dämmert. In einer Stadt mit dem kuriosen Namen Batman wechsle ich wieder den Minibus. Mit mir sind ein paar türkische Jungs im Bus, alle um die Zwanzig. Es geht nicht weiter. Es kommen keine Passagiere mehr. Warten. Die Jungs sind zurückhaltend, schüchtern. Sie bieten mir türkische Süßigkeiten an, ich ihnen syrische. Aber neugierig sind sie doch und so überwinden sie ihre Scheu vor der englischen Sprache und die ersten Fragen werden gestellt, nach Familie, Beruf, wo man wohnt und wo man hinfährt. Der Fahrer entschließt sich nun doch, mit halbleerem Bus loszufahren. Nach ein paar Minuten hält er. Die Jungs erklären mir, dass nun alle in die Moschee gehen. Sie verschwinden im Hinterzimmer eines Restaurants und beten. Als sie wiederkommen ist es dunkel. Sie erzählen, so gut es geht, von ihren Plänen: Jura studieren, als Lehrer arbeiten, einer will Buchhalter werden, einer weiß noch nicht, was er machen wird, vielleicht geht er zum Militär. Ich erkenne an, lobe, sage, wie wichtig eine gute Berufsausbildung für das weitere Leben ist. Sie nicken. Aber auch die Familie, meint einer. Und der Glaube. Und ich soll bitte – bitte! – nicht meinen, dass islamische Attentäter gute Moslems sind. Nein, niemand hier denkt das! Und ich soll zu Hause über den Islam lesen, so dass ich lerne zu verstehen. Dann soll ich mit anderen darüber sprechen. So, meint er, wird das Verständnis zwischen den Kulturen nach und nach größer. Ich spüre, wie ernst ihm dies ist, wie wichtig. Seine Botschaft kommt an. Ja, Junge, du und deine Freunde, ihr habt recht. Nach und nach merke ich, ich bin hier, in diesem Minibus, nicht nur ich. Ich bin die westliche Welt, ich bin Botschafterin, ich bin im diplomatischen Dienst. Ich bin vielleicht der erste direkte Kontakt dieser Art für diese jungen Leute. Ich habe Verantwortung. Ich lausche, lasse sie spüren, dass ich verstehe, dass ich auf ihrer Seite bin und gebe, hoffentlich, die richtigen Antworten. In Siirt bringen sie mich schließlich in einem Hotel unter. Erst das dritte Hotel will mich aufnehmen. Sind die anderen wirklich voll oder wollen sie mich nicht haben? Fremde können in diesem Teil der Welt Ärger bedeuten. Und sie müssen der Polizei gemeldet werden. Mittlerweile ist es 22.00 Uhr. Ich sehe meinen jungen Begleitern an, wie müde sie sind und dass sie nach Hause wollen. Aber bevor sie zu ihren Familien gehen haben sie ganz selbstverständlich jemandem weiter geholfen, der Hilfe gut gebrauchen konnte. Das müssen sie irgendwann von jemandem gelernt haben.
Eine Woche später kommt eine Mail, in der sich Nurullah, der Jüngste der Gruppe, erkundigt, ob ich gut in Berlin angekommen bin. In holprigem Englisch versichert er, dass er nach der Begegnung mit mir nun Leute aus dem Westen lieber mag als vorher. Und ich solle ihn und seine Freunde nicht vergessen.
Aber nein, wie könnte ich euch vergessen, Jungs. Ihr habt einen festen Platz in meinem Herzen. Und euer Anliegen in meinem Kopf.

Mittwoch, 20. Februar 2008

Dzao

But you said 'maybe later'
Ich mag Motorradtaxis. Man ist an der frischen Luft, kommt schnell vorwärts und fährt im Notfall jedem Stau davon. Die Fahrer sind meistens nett und wenn man sie bittet langsam zu fahren, tun sie das in der Regel auch. In Sapa sind sie überall, aber vor allem dort, wo sich Touristen aufhalten. Mein Fahrer kümmert sich um seine Kundschaft. Er verpasst mir einen Helm - was hier nicht selbstverständlich ist - bevor er mich in ein ca. 15 km nördlich von Sapa gelegenes Dzao-Dorf fährt, durch die schönste nordvietnamesische Berglandschaft. Viel weiß ich nicht über diese ethnische Minderheit, lediglich das, was ich mir im Lonley Planet angelesen habe: Dzaos leben in den Grenzgebieten von Vietnam, China und Laos, betreiben Ahnenkult, kennen sich in Naturmedizin aus, sind bunt gekleidet und die Frauen sind geschickte Handarbeiterinnen. Als das Dorf vor uns auftaucht bin ich beruhigt. Tatsächlich, es ist ein echtes Dorf, in dem echte Dzaos leben, und ich habe keine für Touristen aufgehübschte Ansammlung von dekorativem Elend vor mir. Beim Absteigen vom Motorrad umringen mich acht oder zehn Frauen. Hübsch sind sie, mit roten Kopfbedeckungen und bunten, selbst genähten und bestickten Kleidern. Einige tragen ihr Jüngstes in einem Tuch auf dem Rücken. Sie lachen mich an und es beginnt eine freundliche Kontaktaufnahme. Na ja, ich kam ja hierher um Menschen in ihrer angestammten Umgebung zu treffen. Aber eigentlich sind mir Situationen wie diese zu nah, zu intim. Keine Zeit zu schauen, die Atmosphäre des Ortes zu spüren, bevor man mit jemandem spricht. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, ich muss sofort reagieren. Ich bin hier ein Besucher und das ist es, was man von mir erwartet. Ich habe gerade noch Zeit, mit meinem Fahrer zu vereinbaren, wo und wann wir uns wieder treffen, und schon setzen sich die Frauen mit mir in Bewegung. Die eine oder andere rückt ihre Tasche mit den Handarbeiten in mein Blickfeld, mit einem Lächeln. Je weiter ich mich vom Dorfkern entferne, desto weniger Frauen begleiten mich. Zum Schluss sind es noch drei, die mit mir den dreißigminütigen Weg bis zur Höhle gehen. Zwei von ihnen sprechen ein bisschen Englisch. Sie zeigen mir die Häuser, in denen sie wohnen. Ich frage nach ihren Familien, was sie hier anbauen und wovon sie hauptsächlich leben. Sie strahlen Herzenswärme und gute Laune aus. Ich mag diese Frauen, einen Spaziergang lang sind wir Freundinnen. Wir gehen zurück. Ca. 500 m vor dem Treffpunkt gabelt mich mein Fahrer auf, gerade als die Frauen ihre Handarbeiten vor mir ausbreiten. Der Abschied geht nun ganz schnell. Ich merke, dass der Fahrer mir einen Gefallen tun und mich aus der Rolle der potentiellen Käuferin befreien möchte. Eine der Frauen, die Hübscheste, sagt enttäuscht 'But you said "maybe later"'. Ich hebe bedauernd die Schultern und sage ihr, dass ihre Handarbeiten wirklich schön sind, aber mein Rucksack schon voll ist. Solche Situationen kennt jeder Traveller. Sie sind typisch. Aber diesmal lässt mich dies nicht kalt. Noch viel später habe ich die sanfte, enttäuschte Stimme dieser Dzao-Frau im Ohr. Sie haben hier nicht viel, das konnte ich am Zustand des Dorfes erkennen. Vielleicht hätte ich ihr doch eine Umhängetasche abkaufen sollen. Schließlich sind sie auf diesen kleinen, bescheidenen Handel mit den Touristen angewiesen. Dies ermöglicht ihnen das Überleben, auch das der eigenen Kultur. Zu spät. Eine kalte Hand hat sich auf mein Herz gelegt, als ich mit meinem Motorradfahrer wieder zurück nach Sapa fahre.

Samstag, 16. Februar 2008

Etwas bleibt

Palmyra, Syrien
Was ich mitbringe von meinen Reisen? 'Einen Koffer voller Erinnerungen'. Nein, im ernst. Bestimmte Erinnerungen prägen sich für immer ein. Sie sind so schön, dass sie das ganze Leben lang bleiben, auch dann, wenn das Gedächtnis unzuverlässig wird und anfängt, einen zu betrügen. Palmyra ist für mich eine solche Erinnerung. Palmyra ist für mich Dauer, Sinn, Schönheit, Glück.
Ich mache mich klein, im Windschatten eines der Turmgräber, und schaue auf das riesige Ruinenfeld. Die wenigen Touristen, die diesen abgelegenen Ort im Osten Syriens besuchen, haben sich wegen des Sandsturms lieber in ihre Hotels zurückgezogen. Ich blicke auf beinahe 2000 Jahre alte Mauern, Bögen, Säulen, Fundamente. Im Geiste gehe durch Straßen, Gassen, Arkaden. Ich kaufe auf dem Markt ein und sehe den Handwerkern zu, wie sie die Stadt bauen, sie verschönern. Ich besuche das Theater, höre Melodien, die ich nicht kennen kann. Ich bin im Tempel des Baal und nehme an einem Ritual teil. Wenn ich keine Scheu vor großen Worten hätte, würde ich nun Ausdrücke wie 'erhaben', 'mystische Atmosphäre' oder 'Hauch der Geschichte' (zusammen mit 'anwehen') verwenden. Dieses unbeschreibliche, also nicht zu beschreibende und unglaublich gute Gefühl suche ich, wenn ich reise. Deswegen besuche ich Orte wie Petra, die Felsenstadt der Nabatäer in Jordanien, ägyptische Tempel oder eben Palmyra. Nur manchmal finde ich, was ich suche. Oft verhindern Lärm, Menschenmassen oder eine ungünstige Tageszeit, dass ich anderes fühle als Anstrengung, Müdigkeit, Durst oder Hitze. Oft kann ich die Umstände nicht beeinflussen, unter denen ich diese Kostbarkeiten sehe. Aber wenn es mir gelingt, mich zu entziehen, und sei es auch nur für Augenblicke, dann können diese ganz besonderen Momente entstehen. Und meine Reise hat sich gelohnt.

Reiseblues

Nicht immer ist es schön und aufregend, als Traveller in der Welt herumzugondeln. Klar, jeder hat schon einmal Geschichten von geklautem Gepäck oder ekeligen Tropenkrankheiten gehört. Aber das meine ich nicht. Ich meine die ganz normalen Tiefs, die wohl jeder erlebt, der länger unterwegs ist.
Es gibt Zeiten, da ist man so satt, so voll mit Eindrücken, dass man sich leer fühlt. Kopf und Seele kommen nicht mehr nach mit der Anzahl der Kilometer oder der Denkmäler oder der Tempel, die man besucht hat. Bilder blenden ineinander, Namen entschwinden, man bringt Reiserouten und -daten durcheinander. Spätestens dann ist es Zeit, das Reisetempo zu drosseln und sich neu zu sortieren. Das Reisen macht wenig Sinn, wenn am Ende der Reise lediglich Fotos bleiben und man sich an die Orte, an denen sie entstanden, kaum noch erinnert.

Ein anderes Problem, genau so schwer zu ertragen: Das ewige Abschiednehmen. Das Abschiednehmen von Menschen, die man während der Reise lieb gewonnen hat, ist die Kehrseite einer eigentlich guten Sache: Dass man überall auf der Welt Leute trifft, die man mag, die sich für einen interessieren, die einem etwas geben, oft, ohne es zu wissen. Andere Traveller oder Einheimische, man verbringt Zeit mit ihnen und irgend etwas Zwischenmenschliches entsteht. Und dann reisen sie ab oder man selbst geht weg und man muss Abschied nehmen. Immer wieder. Gut, in den Zeiten von Billigfliegern und Internet ist die Welt klein geworden. Aber das ist nur ein Trost, mehr nicht. Reisebekanntschaften sind flüchtig. Die wenigsten überleben den Urlaub, in dem sie entstanden sind.

Sonntag, 27. Januar 2008

Zwei Welten

Zwei Welten. Djemaa el-Fna, Marrakesch, Marokko
Aysha ist 50, also in meinem Alter. Sie hat vier Kinder und neun Enkel, mit 37 wurde sie das erste Mal Großmutter. Das erzählt sie mir, während wir, zusammen mit ein paar hundert anderen, in Nuweiba auf das Schnellboot warten, das Ägypten mit Jordanien verbindet. Eine gemeinsame Sprache haben wir nicht, aber wir haben viel Zeit. Ich weiß nicht, wann das nächste Boot geht und ob ich überhaupt an der richtigen Tür warte, aber die Einheimischen scheinen auch nicht mehr als ich zu wissen. Wir vergleichen unsere Tickets. Sie sehen gleich aus. Aysha nimmt mich unter ihre Fittiche. Nach einer Weile zeigt sie mir Fotos ihrer Familie und fragt mich nach meiner. Ich deute auf einen nicht vorhandenen Ring an meiner Hand, gestikuliere in Waden-, Knie- Hüfthöhe und schüttle den Kopf. Sie versteht: Nicht verheiratet und keine Kinder. Sie schaut mich ernst und fragend an, ich lächle tapfer zurück. Ich wünschte, ich hätte Worte, um ihr zu erklären, dass ich das nicht als Nachteil betrachte. Schließlich habe ich einen Beruf und Freunde und Freiheiten, die mir z. B. erlauben zu reisen und so weiter und so fort. Hier, im arabischen Kulturkreis, habe ich öfter das Bedürfnis, mich zu erklären. Zu Hause in Berlin hingegen taugt ein Lebensstil wie meiner schon lange nicht mehr als Konversationsthema. Frauen wie ich sind selbständig und unabhängig, das ist so selbstverständlich, dass man nicht darüber spricht. Da wir mit dem Familienthema nicht weiter kommen, zähle ich Aysha die Länder auf, die ich auf dieser Reise besucht habe und noch besuchen werde: Marokko, Ägypten, Jordanien, Syrien, Türkei. Sie nickt. Ich erfahre, dass sie aus Ägypten stammt und in Amman lebt. Endlich geht es weiter, die Passagiere dürfen auf das Schiff. Ich folge im Schlepptau. Sie entdeckt ein paar LKW entfernt ihren Sohn, sie ruft ihn per Handy. Haare, die länger keinen Friseur gesehen haben, kurzer Vollbart, dunkelbraune Gesichtsfarbe, lebenslustige Augen. Er ist 34, sieht aber älter aus. Man könnte ihn für Ayshas Ehemann halten. Er und seine Kollegen sitzen seit drei Tagen in Nuweiba fest. Es ging keine Fähre, sie wissen nicht, wann sie wegkommen. Nun geht es aber auch für sie weiter. Die Fahrer verladen ihre LKW auf die langsame Fähre. Sie selbst fahren auch mit dem Schnellboot. Merkwürdig. LKW-Fahrer lassen ihre Fahrzeuge normalerweise nur ungern alleine. Ich verstehe, dass es in den letzten Monaten wieder Grenzzwischenfälle zwischen Israel und Ägypten gegeben hat. Genaueres erfahre ich nicht. Das Schnellboot ist wegen der zusätzlichen Passagiere nun brechend voll. Ayshas Sohn stellt sich als Übersetzer zur Verfügung und die Unterhaltung läuft jetzt etwas runder. Ich bekomme Tee, Fladenbrot und Käse angeboten. Als Aysha von ihrer Familie und ich von meinem Beruf und den Reisen erzähle, spüre ich ihr Bedauern. Sie wurde nicht gefragt, welches Leben sie führen möchte. Vielleicht hätte sie sich für genau das Leben entschieden, das sie nun führt. Sie scheint damit nicht unglücklich zu sein. Aber sie hatte keine Wahl. Auch ich fühle Bedauern. Diese warmherzige Frau führt mir vor Augen, wie es ist, sehr enge Bindungen zu haben, etwas, was vielen in meiner Welt – auch mir selbst – in dieser Intensität nicht mehr möglich ist. Wir tauschen unsere Adressen. Ich werde nach Amman eingeladen. Ja, ich soll unbedingt kommen. Mutter und Sohn wechseln die SIM-Karten ihrer Handys; wir nähern uns Jordanien. Die anderen Touristen stehen plötzlich auf und steuern den Ausgang an. Besser, ich gehe mit ihnen. Die Verabschiedung von Aysha ist herzlich, wie zwischen alten Freunden. Dies war mehr als nur eine flüchtige Begegnung. Die Wege zweier Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, haben sich gekreuzt. Zwei Welten. Kein Problem.