Donnerstag, 28. Februar 2008

Flüchtige Begegnungen

Vansee | Foto: www.bergdias.de
Die Türkei betrete ich durch die Hintertür. Ich komme vom syrischen Grenzort Qamishle, ein von jeder Verkehrsplanung und Müllabfuhr übersehener Ort. Nur Fußgänger dürfen hier über die Grenze, in dieser abgelegenen Ecke, im äußersten Osten zwischen Syrien und der Türkei. Der Irak ist nur einen Steinwurf entfernt, der Iran kaum weiter. Mit mir laufen fünf Einheimische mit Handgepäck zu den Abfertigungsbaracken. Ich treffe auf den ersten Grenzbeamten. Er lächelt überrascht. Eine Touristin? Hier? Er lässt mich pro forma ein paar Reißverschlüsse meines Reisegepäcks öffnen. Die Passkontrolleure gucken, wie Staatsautoritäten in Syrien gucken müssen. Der Vorgesetzte wird geholt, man kann ja nie wissen. Ein Stuhl wird mir angeboten – hinter dem Abfertigungstresen, auf der Seite der Abfertiger. Irgend etwas wird in einen Computer eingetippt. Sie fragen Fragen auf Arabisch, die ich nicht verstehe, und sie verstehen meine Antworten nicht. Nachdem für einen Fall wie diesen die angemessene Abfertigungszeit verstrichen ist, bekomme ich einen Stempel in den Pass und kann gehen. Zur nächsten Baracke. Wieder wird der Pass gründlich gesichtet. Weiter, zu den türkischen Beamten. Die tun sich leichter mit mir. Blick aufs Gepäck, Stempel in den Pass. Die Handbewegung sagt: OK, weitergehen. Ich atme auf. Im nächsten Lebensmittelladen wechsle ich etwas Geld. Eine Bank gibt es nicht. Natürlich werde ich beschissen. Einer fährt mich zweimal um den Block und hält schließlich am Busbahnhof. Dafür will er ein paar tausend Lira. Was soll's. Ich will weiter. Ich will an den Vansee, dort soll es schön sein. Die Busfahrer machen gerade eine Pause und trinken Tee. Einer von ihnen war mal ein paar Jahre in Deutschland und kramt ein paar deutsche Halbsätze hervor. Ein anderer überlässt mir seinen Hocker und ich bekomme auch ein Glas Tee. Irgendwann geht es weiter. Man setzt mich in den richtigen Bus. Offenbar muss ich erst nach Diyarbakir. Dort bleibe ich hängen. Ich esse türkisches Brot mit Salat, nein danke, Fleisch möchte ich keins. Der Mann am Fleischspieß sieht mich verständnislos an und schüttelt den Kopf. Mit Minibussen geht es weiter, Richtung Tatvan. Ich werde von einem Fahrer zum nächsten weiter gereicht. Irgendwie regeln die das mit dem Fahrgeld unter sich. Na, Hauptsache, die Richtung stimmt. Die Landschaft ist braun, karg, bergig, zwischendurch sehr grün, dort, wo es Wasser gibt. Kurdengebiet, kaum Dörfer. Ich bin schläfrig und träge. Es dämmert. In einer Stadt mit dem kuriosen Namen Batman wechsle ich wieder den Minibus. Mit mir sind ein paar türkische Jungs im Bus, alle um die Zwanzig. Es geht nicht weiter. Es kommen keine Passagiere mehr. Warten. Die Jungs sind zurückhaltend, schüchtern. Sie bieten mir türkische Süßigkeiten an, ich ihnen syrische. Aber neugierig sind sie doch und so überwinden sie ihre Scheu vor der englischen Sprache und die ersten Fragen werden gestellt, nach Familie, Beruf, wo man wohnt und wo man hinfährt. Der Fahrer entschließt sich nun doch, mit halbleerem Bus loszufahren. Nach ein paar Minuten hält er. Die Jungs erklären mir, dass nun alle in die Moschee gehen. Sie verschwinden im Hinterzimmer eines Restaurants und beten. Als sie wiederkommen ist es dunkel. Sie erzählen, so gut es geht, von ihren Plänen: Jura studieren, als Lehrer arbeiten, einer will Buchhalter werden, einer weiß noch nicht, was er machen wird, vielleicht geht er zum Militär. Ich erkenne an, lobe, sage, wie wichtig eine gute Berufsausbildung für das weitere Leben ist. Sie nicken. Aber auch die Familie, meint einer. Und der Glaube. Und ich soll bitte – bitte! – nicht meinen, dass islamische Attentäter gute Moslems sind. Nein, niemand hier denkt das! Und ich soll zu Hause über den Islam lesen, so dass ich lerne zu verstehen. Dann soll ich mit anderen darüber sprechen. So, meint er, wird das Verständnis zwischen den Kulturen nach und nach größer. Ich spüre, wie ernst ihm dies ist, wie wichtig. Seine Botschaft kommt an. Ja, Junge, du und deine Freunde, ihr habt recht. Nach und nach merke ich, ich bin hier, in diesem Minibus, nicht nur ich. Ich bin die westliche Welt, ich bin Botschafterin, ich bin im diplomatischen Dienst. Ich bin vielleicht der erste direkte Kontakt dieser Art für diese jungen Leute. Ich habe Verantwortung. Ich lausche, lasse sie spüren, dass ich verstehe, dass ich auf ihrer Seite bin und gebe, hoffentlich, die richtigen Antworten. In Siirt bringen sie mich schließlich in einem Hotel unter. Erst das dritte Hotel will mich aufnehmen. Sind die anderen wirklich voll oder wollen sie mich nicht haben? Fremde können in diesem Teil der Welt Ärger bedeuten. Und sie müssen der Polizei gemeldet werden. Mittlerweile ist es 22.00 Uhr. Ich sehe meinen jungen Begleitern an, wie müde sie sind und dass sie nach Hause wollen. Aber bevor sie zu ihren Familien gehen haben sie ganz selbstverständlich jemandem weiter geholfen, der Hilfe gut gebrauchen konnte. Das müssen sie irgendwann von jemandem gelernt haben.
Eine Woche später kommt eine Mail, in der sich Nurullah, der Jüngste der Gruppe, erkundigt, ob ich gut in Berlin angekommen bin. In holprigem Englisch versichert er, dass er nach der Begegnung mit mir nun Leute aus dem Westen lieber mag als vorher. Und ich solle ihn und seine Freunde nicht vergessen.
Aber nein, wie könnte ich euch vergessen, Jungs. Ihr habt einen festen Platz in meinem Herzen. Und euer Anliegen in meinem Kopf.

Mittwoch, 20. Februar 2008

Dzao

But you said 'maybe later'
Ich mag Motorradtaxis. Man ist an der frischen Luft, kommt schnell vorwärts und fährt im Notfall jedem Stau davon. Die Fahrer sind meistens nett und wenn man sie bittet langsam zu fahren, tun sie das in der Regel auch. In Sapa sind sie überall, aber vor allem dort, wo sich Touristen aufhalten. Mein Fahrer kümmert sich um seine Kundschaft. Er verpasst mir einen Helm - was hier nicht selbstverständlich ist - bevor er mich in ein ca. 15 km nördlich von Sapa gelegenes Dzao-Dorf fährt, durch die schönste nordvietnamesische Berglandschaft. Viel weiß ich nicht über diese ethnische Minderheit, lediglich das, was ich mir im Lonley Planet angelesen habe: Dzaos leben in den Grenzgebieten von Vietnam, China und Laos, betreiben Ahnenkult, kennen sich in Naturmedizin aus, sind bunt gekleidet und die Frauen sind geschickte Handarbeiterinnen. Als das Dorf vor uns auftaucht bin ich beruhigt. Tatsächlich, es ist ein echtes Dorf, in dem echte Dzaos leben, und ich habe keine für Touristen aufgehübschte Ansammlung von dekorativem Elend vor mir. Beim Absteigen vom Motorrad umringen mich acht oder zehn Frauen. Hübsch sind sie, mit roten Kopfbedeckungen und bunten, selbst genähten und bestickten Kleidern. Einige tragen ihr Jüngstes in einem Tuch auf dem Rücken. Sie lachen mich an und es beginnt eine freundliche Kontaktaufnahme. Na ja, ich kam ja hierher um Menschen in ihrer angestammten Umgebung zu treffen. Aber eigentlich sind mir Situationen wie diese zu nah, zu intim. Keine Zeit zu schauen, die Atmosphäre des Ortes zu spüren, bevor man mit jemandem spricht. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, ich muss sofort reagieren. Ich bin hier ein Besucher und das ist es, was man von mir erwartet. Ich habe gerade noch Zeit, mit meinem Fahrer zu vereinbaren, wo und wann wir uns wieder treffen, und schon setzen sich die Frauen mit mir in Bewegung. Die eine oder andere rückt ihre Tasche mit den Handarbeiten in mein Blickfeld, mit einem Lächeln. Je weiter ich mich vom Dorfkern entferne, desto weniger Frauen begleiten mich. Zum Schluss sind es noch drei, die mit mir den dreißigminütigen Weg bis zur Höhle gehen. Zwei von ihnen sprechen ein bisschen Englisch. Sie zeigen mir die Häuser, in denen sie wohnen. Ich frage nach ihren Familien, was sie hier anbauen und wovon sie hauptsächlich leben. Sie strahlen Herzenswärme und gute Laune aus. Ich mag diese Frauen, einen Spaziergang lang sind wir Freundinnen. Wir gehen zurück. Ca. 500 m vor dem Treffpunkt gabelt mich mein Fahrer auf, gerade als die Frauen ihre Handarbeiten vor mir ausbreiten. Der Abschied geht nun ganz schnell. Ich merke, dass der Fahrer mir einen Gefallen tun und mich aus der Rolle der potentiellen Käuferin befreien möchte. Eine der Frauen, die Hübscheste, sagt enttäuscht 'But you said "maybe later"'. Ich hebe bedauernd die Schultern und sage ihr, dass ihre Handarbeiten wirklich schön sind, aber mein Rucksack schon voll ist. Solche Situationen kennt jeder Traveller. Sie sind typisch. Aber diesmal lässt mich dies nicht kalt. Noch viel später habe ich die sanfte, enttäuschte Stimme dieser Dzao-Frau im Ohr. Sie haben hier nicht viel, das konnte ich am Zustand des Dorfes erkennen. Vielleicht hätte ich ihr doch eine Umhängetasche abkaufen sollen. Schließlich sind sie auf diesen kleinen, bescheidenen Handel mit den Touristen angewiesen. Dies ermöglicht ihnen das Überleben, auch das der eigenen Kultur. Zu spät. Eine kalte Hand hat sich auf mein Herz gelegt, als ich mit meinem Motorradfahrer wieder zurück nach Sapa fahre.

Samstag, 16. Februar 2008

Etwas bleibt

Palmyra, Syrien
Was ich mitbringe von meinen Reisen? 'Einen Koffer voller Erinnerungen'. Nein, im ernst. Bestimmte Erinnerungen prägen sich für immer ein. Sie sind so schön, dass sie das ganze Leben lang bleiben, auch dann, wenn das Gedächtnis unzuverlässig wird und anfängt, einen zu betrügen. Palmyra ist für mich eine solche Erinnerung. Palmyra ist für mich Dauer, Sinn, Schönheit, Glück.
Ich mache mich klein, im Windschatten eines der Turmgräber, und schaue auf das riesige Ruinenfeld. Die wenigen Touristen, die diesen abgelegenen Ort im Osten Syriens besuchen, haben sich wegen des Sandsturms lieber in ihre Hotels zurückgezogen. Ich blicke auf beinahe 2000 Jahre alte Mauern, Bögen, Säulen, Fundamente. Im Geiste gehe durch Straßen, Gassen, Arkaden. Ich kaufe auf dem Markt ein und sehe den Handwerkern zu, wie sie die Stadt bauen, sie verschönern. Ich besuche das Theater, höre Melodien, die ich nicht kennen kann. Ich bin im Tempel des Baal und nehme an einem Ritual teil. Wenn ich keine Scheu vor großen Worten hätte, würde ich nun Ausdrücke wie 'erhaben', 'mystische Atmosphäre' oder 'Hauch der Geschichte' (zusammen mit 'anwehen') verwenden. Dieses unbeschreibliche, also nicht zu beschreibende und unglaublich gute Gefühl suche ich, wenn ich reise. Deswegen besuche ich Orte wie Petra, die Felsenstadt der Nabatäer in Jordanien, ägyptische Tempel oder eben Palmyra. Nur manchmal finde ich, was ich suche. Oft verhindern Lärm, Menschenmassen oder eine ungünstige Tageszeit, dass ich anderes fühle als Anstrengung, Müdigkeit, Durst oder Hitze. Oft kann ich die Umstände nicht beeinflussen, unter denen ich diese Kostbarkeiten sehe. Aber wenn es mir gelingt, mich zu entziehen, und sei es auch nur für Augenblicke, dann können diese ganz besonderen Momente entstehen. Und meine Reise hat sich gelohnt.

Reiseblues

Nicht immer ist es schön und aufregend, als Traveller in der Welt herumzugondeln. Klar, jeder hat schon einmal Geschichten von geklautem Gepäck oder ekeligen Tropenkrankheiten gehört. Aber das meine ich nicht. Ich meine die ganz normalen Tiefs, die wohl jeder erlebt, der länger unterwegs ist.
Es gibt Zeiten, da ist man so satt, so voll mit Eindrücken, dass man sich leer fühlt. Kopf und Seele kommen nicht mehr nach mit der Anzahl der Kilometer oder der Denkmäler oder der Tempel, die man besucht hat. Bilder blenden ineinander, Namen entschwinden, man bringt Reiserouten und -daten durcheinander. Spätestens dann ist es Zeit, das Reisetempo zu drosseln und sich neu zu sortieren. Das Reisen macht wenig Sinn, wenn am Ende der Reise lediglich Fotos bleiben und man sich an die Orte, an denen sie entstanden, kaum noch erinnert.

Ein anderes Problem, genau so schwer zu ertragen: Das ewige Abschiednehmen. Das Abschiednehmen von Menschen, die man während der Reise lieb gewonnen hat, ist die Kehrseite einer eigentlich guten Sache: Dass man überall auf der Welt Leute trifft, die man mag, die sich für einen interessieren, die einem etwas geben, oft, ohne es zu wissen. Andere Traveller oder Einheimische, man verbringt Zeit mit ihnen und irgend etwas Zwischenmenschliches entsteht. Und dann reisen sie ab oder man selbst geht weg und man muss Abschied nehmen. Immer wieder. Gut, in den Zeiten von Billigfliegern und Internet ist die Welt klein geworden. Aber das ist nur ein Trost, mehr nicht. Reisebekanntschaften sind flüchtig. Die wenigsten überleben den Urlaub, in dem sie entstanden sind.